
‘s Pressiert! - Podiumsdiskussion 2018
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Das Ring-Theater bildete den adäquaten Rahmen für die Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Rolf Monheim
Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler
(19.09.2018) Es war fast so etwas wie eine Abstimmung mit den Füßen, dass gut 200 Menschen am 14. September zur Podiumsdiskussion der IG Menschengerechten Stadt ins Ring-Theater strömten. Und niemand beschwerte sich über fehlende Parkplätze. Die endgültige Abstimmung über den Bebauungsplan Bürgerspital-Areal wird am 24. September bequem von den Ratsstühlen aus erfolgen – mit erwartungsgemäßem Ergebnis. Denn selbst Prof. Dr. Rolf Monheim und die Argumente später aus dem Publikum gegen das Gesamtprojekt waren für CSU, SPD und Amberger Bunt nicht einmal überdenkenswert.
Die Amberger Altstadt ist nicht groß: einen knappen Kilometer lang, etwas mehr als einen halben Kilometer breit. Und dennoch behauptet der Einzelhandel, die Wege in ihre Geschäfte seien der Kundschaft zu weit und es gäbe zu wenig Parkplätze. Die städteplanerischen Untersuchungen Monheims aus Regensburg, Nürnberg und Bamberg ergeben ein anderes Bild. Innenstädte, so der Mobilitäts- und Handelsforscher aus Bayreuth, brauchen einen attraktiven Einzelhandel, ebenso aber müssen sie Erlebnisräume bieten. Bewohnerinnen und Besucher gehen in die Stadt, um etwas zu erleben, nicht nur um einzukaufen. Dieses „Mehr“ nennt Monheim Shopping-Tourismus. Damit sich die Menschen längere Zeit in der Stadt aufhalten, braucht es öffentlichen Leben auf Plätzen und in den Straßen.
Eine „besuchergerechte Freiraumgestaltung“, damit Menschen gerne durch die Stadt flanieren, sie in sich aufnehmen mit all ihren historischen Gebäuden, in denen kleine Läden untergebracht sind, wo sie Kontakte pflegen und knüpfen können – all das führe zu einem Einkaufs- und Aufenthaltserlebnis – zu einer Stadt als Begegnungsraum.
Dazu braucht es eine nachhaltige Stadtentwicklung. „Wenn man dem Volk mehr aufs Maul schaut, wird klar, dass ein flächenhaftes Einzelhandelsangebot attraktiver ist als ein einzelner großer Konsumtempel“, so Monheim. Seine Befragungen stützen die Aussagen. Wo immer er und andere Befragungen durchgeführt haben, ergibt sich das gleiche Bild: Die Händler wollen den Parkplatz vor dem Laden, weil sie meinen, das sei gut fürs Geschäft, die Passanten wollen in Ruhe flanieren, genießen und einkaufen.
Irrungen und Wirrungen
Was sich die Händler speziell in Amberg von einer Tiefgarage und einem „Nahversorger“ auf dem Gelände des Bürgerspitals erhoffen, bleibt rätselhaft. Sehnt man sich wirklich nach einem Drive-in-Discounter, der die Konkurrenz in der Altstadt ordentlich aufmischt? An den wenigen Minuten erspartem Fußweg zwischen Altstadtgarage und Spitalkirche, dürfte kaum der Umsatz von Läden in der Altstadt abhängen.
Eine Befragung von Besuchern der Nürnberger Innenstadt, die ihr Fahrzeug im Parkhaus abgestellt hatten, ergab, dass sie anschließend im Durchschnitt rund anderthalb Kilometer gelaufen sind, ein Viertel von ihnen sogar mehr als zwei Kilometer. Nur 5 Prozent der Besucher meinen dazu, die Fußgängerzone in Nürnberg sei zu groß, mehr als doppelt so viele finden sie zu klein und die überwältigende Mehrheit hält sie für richtig dimensioniert.
In Bayreuth forderten die Händler wiederholt, die Fußgängerzone müsse für den Autoverkehr geöffnet werden. Eine Passantenbefragung im Jahr 2004 zeigte aber, dass die Besucher und damit die potentiellen Kunden das komplett anders sahen: eine satte Zweidrittelmehrheit sagte, dadurch würde die Attraktivität der Innenstadt geringer, nicht einmal jede(r) Zehnte glaubte, sie würde größer. Besonders interessant: Von den Passanten, die aus dem Umland gekommen waren, erhoffte sich nur jeder Zwanzigste eine Verbesserung der Attraktivität durch Autoverkehr.
Als weiteres Beispiel Regensburg mit seiner Fußgängerzone, die ebenfalls größer ist als die Amberger Altstadt und von der jeder Meter gegen den Widerstand des Handels durchgesetzt werden musste: Dort störten sich („gefällt mir überhaupt nicht“) nur 9 Prozent der Besucher und 17 Prozent der Bewohner daran, dass die Altstadt – vermeintlich – mit den Auto schlecht erreichbar sei. Aber mehr als die Hälfte (59 Prozent) der Händler waren dieser Meinung. Die Regensburger Altstadt ist heute Weltkulturerbe und er gibt auf fast allen Plätzen dieser Stadt so gut wie keine parkenden Autos mehr.
Es gibt im Handel einen unerschütterlichen Glauben an das Heil des Autoverkehrs und den Umsatz, der mit dem Auto kommt: Schon 2006 und 1997 zeigten Befragungen in Bamberg und Regensburg, dass die Händler die Präferenzen und Wertungen der Innenstadtbesucher falsch einschätzen: Bamberg erhielt von 42 Prozent der Besucher ein „sehr gut“ im Fach Autoerreichbarkeit, während nur 19 Prozent der Händler diese Bestwertung vergeben wollten und – das ist das Kuriose – auch meinten, die Besucher der Stadt und damit ihre Kunden sähen das genauso. Jahrzehnte später sind die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen der Universität Bayreuth immer noch nicht in Amberg angekommen.